Hier und jetzt
Wenn ich entscheiden könnte, in
welchem Alter ich in meinem nächsten Leben auf die Welt kommen
möchte, dann würde ich mich für die vierziger Jahre entscheiden.
Es ist nicht so, dass die Jahre davor
grausam waren, fürchterlich, nicht lebenswert, aber ich bin mir
nicht sicher, ob wirklich ICH sie gelebt habe, beziehungsweise, ob
ich sie GELEBT habe.
Die Kindheit ist eine Zeit, in der man
sicher man selbst ist, aber man ist es so unbewusst, weil man ja noch
gar nichts kennt. Wen interessieren schon Verhaltensregeln,
Erwartungen, Verbote? Man verfolgt ganz einfach seine Bedürfnisse.
Die Vergangenheit interessiert einen nur insofern, dass man gelernte
Dinge anwendet. Und Zukunft - was ist das? Neugierig krabbelt und
geht man durch die Welt, lernt, saugt auf, macht Erfahrungen... An
und für sich eine schöne Zeit, aber mir fehlt das bewusste
entscheiden dafür.
Und dann folgt eine sehr lange Phase,
in der wir uns positionieren, immer und immer wieder, in der wir uns
ausprobieren, das Leben ausprobieren, versuchen mit den Regeln der
Gesellschaft klar zu kommen, verschiedenste Wege ausprobieren, in
Sackgassen landen oder an Abgründen stehen.
Bei mir war diese Phase sehr lang. Als
Jugendliche habe ich immer wieder versucht aus den Rollen
auszubrechen und doch war ich eine vorzügliche Schauspielerin,
geradezu begnadet darin, mir keinerlei Gefühle ansehen zu lassen.
Selbstbewusst und arrogant nahm man mich wahr, während ich zuhause
an mir selbst zweifelte und versuchte herauszubekommen, was ich mir
von mir und meinem Leben erwartete. So wurde ich nach und nach zu
einem Eremit, der sich mit den typischen Gruppenregeln nicht mehr
identifizieren konnte.
Für viele wirkte ich wie all die
anderen Teenager, das war meine Kunst des Verstellens, aber ich
fühlte mich ausgeschlossen, anders, fand den Rest so oberflächlich,
uninteressant, absolut nicht reizend. Diese Diskrepanz zwischen dem,
was ich vorgab zu sein und dem, was ich war machte mich unzufrieden.
Mit meinen Kindern bin ich dann langsam
gewachsen. Ich habe gelernt für mich einzustehen, immer mehr Dinge
nicht zu tun, die ich nicht tun möchte, Nein-Sagen gelernt. Meine
Kinder haben mir dafür die notwendige Kraft gegeben, denn die
Unzufriedenheit durch falsches Rollenspiel hat dann oft dazu geführt,
dass meine Stimmung gereizt war und meine Mädels die Leidtragenden
waren.
Es ist eine Zeit des Ausprobierens, des
Hinterfragens, des Sich-Positionierens. Dadurch, dass ich mich schon
seit meiner Jugend damit beschäftigt habe, was mich glücklich
macht, wer ich bin, warum ich lebe, war dieses kein Neuland für
mich. Und immer mehr hat sich für mich herauskristallisiert, dass
der Sinn des ganzen Lebens so einfach ist: authentisch sein und jeden
Moment genießen.
Jetzt, mit fast 50, bin ich so weit,
dass ich in den Spiegel schaue und mich anlächle, dass ich egal wo
ich bin und mit wem ich zusammen bin, ICH bin. Meine Vergangenheit
liegt hinter mir und ich lebe mit ihr, aber nicht in ihr. Ich weiß,
dass sie mich auf den Weg gebracht hat, auf dem ich jetzt bin. Ich
weiß nicht, wohin dieser Weg mich jetzt bringt, denn die Zukunft ist
für mich eher uninteressant. JETZT, jetzt und hier ist das Leben,
mein Leben.
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