kurz vor dem Ende die 23
Mittwoch, 23. Dezember 2020
Es
geht dich auch an,
wenn
des Nachbarn Haus brennt.
Als
Kind hatte Nachbarschaft für mich eine ganz andere Bedeutung.
Damals
wohnten wir in einem 6 Familien-Haus. Die Wohnung zur Freundin meiner Mutter
und zu dem älteren Ehepaar über uns waren mir wohl bekannt, weil man sich
besuchte, Kontakt hatte. Man kannte die Namen der Leute, die in den umliegenden
Häusern wohnten und ging bei vielen wie selbstverständlich ein und aus, wenn
man Freunde abholen wollte.
Meine
Mama war zudem für die älteren Leute ein Engel und machte Besorgungen und half,
wo sie nur konnte. Es war eine kleine Welt, in der die Kinder noch auf der
Straße ein Völkerballfeld aufmalten und spielten, wo die Mütter noch eine Runde
mitspielten, wenn sie ihre Kinder zum Abendessen „einfangen“ wollten.
Ob
Tante Mia oder Opa Bücker, es war nicht Familie, aber es fühlte sich so an.
Während
des Studiums in München war die Nachbarschaft schon ein wenige anders. Es war
eine Mischung aus denen, die freundlich gleich ihre Türen öffneten und mit
denen man schnell ins Gespräch kam – meistens die Familien, die auch Kinder
hatten – und die, von denen man nicht einmal mehr die Namen kannte.
Unsere
heutige Nachbarschaft hatte uns mit offenen Armen empfangen. Hier gibt es
Sommerfeste, Winterfeste, nachbarschaftstreffen, Adventskranztreffen…
eigentlich findet man immer einen Anlass, um zusammenzukommen und gesellig zu
trinken. Zu Beginn haben wir ein Jahr mitgemacht. Wir haben gesagt, dass wir
das offen ausprobieren wollen. Aber ohne urteilen zu wollen – es war einfach
nicht das, was wir mögen. Und so haben wir uns aus diesen
Pflichtveranstaltungen ausgeklinkt.
Anfangs
waren einige etwas verhalten, weil sie wohl gleich meinten, dass man sich für
etwas „Besseres“ hält. Man grüßte nur kurz, war zurückhaltend.
Mittlerweile
haben die meisten von ihnen verstanden, dass es nicht um jeden einzelnen von
ihnen geht, sondern dass es dieses verpflichtende Aufeinanderhocken ist, die
Trinkgelage, die ich schon als Teenager nicht gemocht habe.
Vielleicht
sollte ich aber mal wieder Wichtel spielen. Es muss ja nicht gleich eine
Einladung zu einem Fest sein. Schone eine kleine Geste - das wissen wir selbst – kann einen schönen
Zauber verstreuen.
Als der Advent in die Ottostraße kam
Ein Haus in der Ottostraße unterschied sich von den anderen Häusern. Das
Haus der Müllers. Dessen Haustür stand nämlich meist für alle Nachbarn offen
und jeder wusste: „Aha, bei Müllers ist jemand zu Hause und ich bin
willkommen.“
Die Leute kamen oft in das Haus mit der offenen Tür und es ging oft sehr lustig
und spannend, manchmal auch nachdenklich und tröstend in Müllers Wohnküche zu.
Und weil sie sich gerne hier trafen, verstanden sie einander besser als sich
Leute aus anderen Straßen normalerweise verstehen.
Eines Tages musste Frau Müller für längere Zeit verreisen und in der Ottostraße
waren nun wie in anderen Straßen alle Türen geschlossen. Bald begannen die
Leute zu vergessen, dass sie einander aus Müllers Wohnküche kannten. Sie gingen
sich aus dem Weg oder blickten zur Seite, wenn sie sich begegneten.
Unfreundlich war es in der Ottostraße geworden und als Frau Müller heimkehrte,
erschrak sie.
„Sie haben es nicht begriffen“, sagte sie. „Schade.“
Traurig schloss auch sie die Tür nun hinter sich zu.
Die dunkle Jahreszeit kam, und die Leute sehnten sich nach der hellen Wohnküche
der Müllers. Sie träumten von Bratapfelduft und Tee, von Kerzenlicht,
Napfkuchen und Gesprächen am Abend. Immer häufiger dachten sie daran und als
die Adventszeit kam, sagte manch einer:
„Ach, wie schön ist es früher in unserer Straße gewesen.“
Sie waren traurig in diesen ersten Adventstagen, die Bewohner der Ottostraße.
Bei Müllers war es auch dieses Jahr gemütlich wie in immer. Dennoch fehlte
etwas, und Frau Müller wünschte sich sehnlich, die Haustür wieder zu öffnen.
Eines Tages buk sie einen Napfkuchen und machte die Tür langsam auf.
Doch was war das da drüben bei Bergers? Die Haustür der Bergers stand offen!
Weit offen.
Da lächelte Frau Müller. Sie holte ihren Napfkuchen aus der Küche und ging mit
dem Kuchenteller langsam über die Straße.
© Elke Bräunling
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