92 - ich

 


Als ich meiner ältesten Tochter sagte, dass ich diese Aufgabe sehr schwer fand, schaute sie mich erstaunt an und meinte, dass ein Selbstporträt doch die einfachste Sache der Welt ist.

Ich bin aber gerade in einer ganz anderen Verfassung. Ob es am Frühling liegt, an Hormonen, an meiner momentanen Lieblingsserie ist letztendlich egal, aber ich will nicht nur die Oberfläche ablichten.

Letztendlich ist das, was man von außen sieht für jeden Betrachter wieder eine ganz eigene Sache. Frag hundert Personen und ein jeder wird etwas anderes über mich erzählen, mich anders wahrnehmen.

Wer also bin ich und was macht mich aus? Was hat mich geprägt, was hat mich wachsen lassen, was sind meine Wurzeln? Und wie drücke ich das in einem Foto aus?

Ich bin die Summe meiner Begegnungen und Erlebnisse, das Ergebnis aus dem, was ich erfahren habe im Leben, gewachsen an dem, was ich mir erkämpfen musste und gestärkt durch das, was mir gut getan hat. Das wichtigste an alldem sind wohl die Menschen, denen man begegnet im Leben. Angefangen bei den Eltern und Geschwistern, Freunden, Bekannten, Lehrern geht es irgendwann weiter mit Lebenspartnern, Arbeitskollegen, eigenen Kindern, Enkelkindern. Alles prägt sich ein, jeder Mensch hinterlässt eine Spur in einem. Wir selbst sind dafür verantwortlich, diese Spuren möglichst gut wegzukehren oder ihnen immer wieder eine feste Kontur zu geben, damit sie nicht verblassen. 

So kann ich mich an manche Menschen in meinem Leben kaum noch erinnern, andere Menschen und Situationen sind so lebendig, als wäre es gestern gewesen. 

Ich sein heißt, sich bewusst zu werden, was sich gut anfühlt und was nicht. Ich sein heißt ehrlich zu sich sein und gegebenenfalls auch Entscheidungen treffen, die vielleicht anfangs weh tun, weil sie ein Stück Sicherheit nehmen und man sich wieder in den freien Fall begibt. Ich sein heißt, in sich hinein zu hören und nicht auf andere. 

Und wenn man das Glück hat, wie ich es hatte, dann wird man in eine Familie hineingeboren, die einen "Ich" sein lässt und immer da ist: egal ob als bockiges Kind, komplizierter Teenager oder alte Frau. Dann hat man schon einen Ort, an dem man nicht das Gefühl hat, sich an "Regeln" halten zu müssen. Man muss nicht lachen, weil alle anderen es gerade tun, man muss nicht "mitmachen", damit die anderen sich keine Gedanken machen. Man darf einfach da sein.

Ich habe dieses Glück genossen und genieße es auch heute noch. 

Der Grundstein für mein ICH, ist meine Familie.



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